Wenn selbst die vornehme NZZ ein Gerücht aufnimmt und weiterverbreitet, dann muss an der Sache etwas dran sein. Und tatsächlich: Nach hartnäckigem Nachfragen wird von Gewährsleuten in Schweden bestätigt: Tomas Mitell wechselt auf nächste Saison von Färjestad nach Lugano. Definitiv. Mehr noch: Es wird allenthalben erwartet, dass Lugano die Verpflichtung noch diese Woche offizialisieren und den neuen Trainer vorstellen wird. Das Warten dauert ja nun schon eine Weile.
Tomas Mitell ist nach John Slettvoll, Mats Waltin und Kent Johansson der 4. schwedische Trainer unter Palmen und insgesamt der 26. Trainer (einige wurden gefeuert und kehrten später zurück) seit dem Wiederaufstieg von 1982. Er ist nicht einfach ein weiterer Schwede. Seine Verpflichtung markiert eine tiefgreifende Zäsur: Das spektakulär gescheiterte «Experiment Ambri» ist beendet. Ein neues nordisches Zeitalter beginnt.
Im Herbst 2022 kommt die kluge Präsidentin Vicky Mantegazza zum richtigen Schluss, dass nur eine neue Philosophie die lange Zeit der Stagnation beenden kann (letzter Titel 2006). Selbst prominente Namen sind reihenweise gescheitert (u. a. Barry Smith, Larry Huras, Patrick Fischer, Sami Kapanen, Serge Pelletier). Nun ist im Oktober 2022 gar noch Chris McSorley, der Wunschkandidat schlechthin, am Ende seines Lateins.
Meister ist zwar seit 2006 (Harold Kreis) keiner mehr geworden. Aber immerhin hat Lugano als erster Klub Patrick Fischer eine Chance als Trainer gegeben. Vicky Mantegazza ist sozusagen die «Erfinderin» des erfolgreichsten Nationaltrainers unserer Geschichte. Wäre Patrick Fischer in Lugano am 22. Oktober 2015 nicht gefeuert worden, hätten wir vielleicht 2018 und 2024 den WM-Final nicht erreicht.
Während Lugano leidet, findet Ambri ab 2017 nach Jahren der Irrungen und Wirrungen seine Identität mit einem Trainer und einem Sportchef aus den eigenen Reihen. Mit Luca Cereda an der Bande und Paolo Duca im Sportchef-Büro hat Ambri inzwischen den Spengler Cup gewonnen und die Champions League und die Playoffs erreicht. Aber Ambri definiert sich unter der helvetischen Führung nicht nur über Resultate. Vielmehr auch durch eine unverwechselbare sportliche Kultur und Spielweise.
Warum also nicht werden wie Ambri? Mit einem Trainer aus den eigenen Reihen? Folgerichtig ist am 8. Oktober 2022 der Junioren-Trainer Luca Gianinazzi im Alter von 29 Jahren als Nachfolger von Chris McSorley zum jüngsten Chefcoach der Liga befördert worden. Aber es hat nicht funktioniert. Luca Gianinazzi muss am 13. Januar 2025 wegen anhaltender, ja dramatischer Erfolgslosigkeit durch Uwe Krupp ersetzt werden. Seine nächste Station: Cheftrainer bei Visp.
Wenn alle Trainer seit 2006 letztlich doch gescheitert sind, dürfte die Ursache wohl auch in der DNA des Klubs zu suchen sein. Aber wir wollen jetzt nicht grübeln und vorwärts schauen.
Nun kommt also mit dem erst 44-jährigen Tomas Mitell einer der interessantesten Trainer Europas. Erst 44 Jahre alt, war 2022 Meister mit Färjestad, 2024 Coach des Jahres in Schweden und während zweieinhalb Jahren als Assistent von Jeremy Collinton bei Chicago in der NHL an der Bande engagiert. Am 6. November 2021 wurde er in Chicago zusammen mit seinem Chef gefeuert; er übernahm am 25. Februar 2022 Färjestad und gewann gleich die schwedische Meisterschaft.
Und nun also Hockey unter Palmen. Nie mehr seit John Slettvoll hatte ein Trainer in Lugano so gute Voraussetzungen: Nach der schmählichsten Saison seit dem Wiederaufstieg von 1982 – 13. Rang, erstmals in den Playouts – ist aus Hochmut sportliche Demut geworden. Von Besserwisserei ist inzwischen keine Rede mehr.
Wie einst unter John Slettvoll (Meister 1986, 1987, 1988 und 1990) werden die Worte des Trainers in Lugano Gospel (= Evangelium) sein. Auch der neue Sportchef Janick Steinmann hat beim Neuaufbau mehr Handlungsfreiheit als seine Vorgänger. Wenn ihm die Hockeygötter gnädig sind, hat er das, was seinem Vorgänger Hnat Domenichelli meistens gefehlt hat: ein bisschen Glück bei den Transfers.
Tomas Mitell übernimmt eine Mannschaft mit dem Potenzial für die obere Tabellenhälfte. Sein Assistent Stefan Hedlund (49) hat bereits viel Erfahrung in unserem Hockey in Zug, bei den Lakers und zuletzt in Genf gesammelt. Er wird seinem Chef das, was er in unserem Hockey nicht verstehen kann, sicherlich gut erklären können.